Das Kandinsky-Projekt, Teil 2 - FarbeLichtMusik
Eine synästhetische Konzert-Installation in der vh Ulm
Am Freitag, den 3. April 2009 um 21:30 Uhr im EinsteinHaus, Ulm
Die Konzert-Anküdigung
Schon Alexander Laszlo, Ivan Wyschnegradsky oder Alexander Skrijabin hatten Tönen synästhetisch Farben zugeordnet. Auch Wassily Kandinsky beschrieb seine Farbe-Ton-Zuordnungen und malte Kompositionen.
Zu hören und zu erfahren sind an diesem Abend spektakuläre Farberlebnisse, Graphemvertonungen, farbige Teiltonfelder, Raum-Klang-Ornamente, Chin-Musik und bewegte Klänge, Ruhe und Genuss.
Der synästhetische Bühnenraum
Durch die Vertonung des Kandinsky-Bildes „Gelb – Rot – Blau“ im Oktober 2008 war die Idee entstanden, in einem nächsten Projekt einen wirklich synästhetischen Bühnenraum zu erzeugen. Der Zuschauer sollte von Klängen, visuell wie akustisch, umgeben sein.
Wie ließe sich dies verwirklichen?
Synästhetische Erfahrungen wie das sogenannte Farbenhören, bei dem jemand zu akustischen Reizen zugleich für die Dauer des Reizes eine farbige Form sieht, werden oft folgendermaßen beschrieben: „Ich stehe am Rand einer Bühne, vor mir und neben mir ist alles schwarz. Mit dem Klang oder den Klängen erscheinen im gesamten Bühnenraum farbige Formen. Die Klänge bilden nahezu Skulpturen im Raum, doch sie verschwinden mit dem Ende des Klanges.“
Der Synästhesieforscher und Musikwissenschaftler Georg Anschütz schrieb dazu 1930 (In: Anschütz, Georg: Abriss der Musikästhetik. Leipzig 1930. Seite 187 ff.):
„Häufig zeichnet sich der Klangcharakter der Instrumente und Stimmen eigenartig raumhaft aus. Die Trompete bewirkt etwa Säulen oder aber in sich erst wachsende, nach oben immer breiter und massiger werdende Gestalten. Gezupfte Töne oder solche des Klaviers, der Harfe und der Glocken bilden die mannigfachsten Arten von Kreisen, Scheiben, Kugeln, Tropfen und Ähnlichem.“
„Die scheinbare Entfernung vom Auge kann recht genau abgeschätzt werden, ebenfalls die objektive Größe.“ Die Gesetze der Perspektive dagegen gelten offenbar nicht. „Der Raum ist zwar dreidimensional, aber die dritte Dimension, die nach der Tiefe hin, von uns fort, ist den beiden ersten des Horizontalen und Vertikalen koordiniert. Daher treten insbesondere die sonst üblichen Gesetze der Verkürzung und Verkleinerung nicht auf.“
„Eine dritte Merkwürdigkeit liegt darin, dass die einzelnen Gegenstände, obwohl sie voluminös und körperhaft sind, doch in vielen Fällen andere Elemente erkennen lassen, die sich hinter ihnen befinden.“
Die fehlenden Holografie-Projektoren und die technische Planung
Die Klänge schweben mitten im Raum oder weiter vorne, weiter hinten – man müsste sie holografisch dreidimensional in den Raum projizieren. Das geht leider technisch noch nicht.
Wir brauchten also für einen Bühnenraum 3 Wände, möglichst weiße, um auf diese „ganz normal“ zu projizieren. Den bekamen wir im Atelier der vh Ulm:
Aufbauplanung:
Rot - die Beamer-Standorte, Orange - die Projektionsflächen, die grauen Pfeile zeigen die Projektionsrichtung, Gelb = unser Platz - für die Flash-Rechner und für die Musiker, Hellblau - der Platz für das Publikum, die grauen Würfelchen sind die vier Betonsäulen im Raum
Die Projektionen gingen vom Fußboden bis zur Decke. Die diagonale Wand (Projektion 5) bauten wir (Klaus und Christine) aus Holz und Stoff, und schraubten und spannten sie vor Ort zusammen. Für Projektion 4 bauten wir ebenfalls für ein langes schwarz verklebtes Fenster (3 m breit, 0,95 cm hoch) eine Leinwand.
Das Konzept
Da Synästhesien eine absolut subjektive Zuordnung sind, durfte jeder Autor absolut subjektiv seine persönlichen Zuordnungen für seinen Film, sein Stück treffen. So erhielten wir eine spannende Vielfalt.
Jeder Autor konnte sich für 6 Beamer eine Farblichtprojektion ausdenken und herstellen, ob in Flash, in Premiere oder in vvvv.
Ob alle Beamer das gleiche Bild zeigen oder von Bild 1 bis Bild 6 Formen durchlaufen oder ob alle Wände quasi als verbreitertes Bild gesehen werden, wo mal hier mal da was auftaucht...das war dem jeweiligen Autor überlassen.
Der Autor schrieb sozusagen mit seiner Projektionskomposition die „Noten“, die Vorlage für die Musiker und dirigierte dann entsprechend die Musiker mit der Projektion. Die Musik musste nicht nur vom Laptop kommen, auch Chins, Instrumente, Plattenspieler, alte Radios - was halt für die Komposition passte – waren erlaubt.
Die technische Probe
Da die Projektoren somit unterschiedliche Filme an die Wand werfen mussten, brauchte jeder Projektor seinen eigenen Zuspielrechner. Zusätzlich standen die Projektoren aber auch noch weitläufig im Raum verteilt. Wir standen also vor dem Problem, wie die Filme perfekt synchron gestartet werden konnten und auch über das gesamte Stück synchron bleiben würden. Schon kleine Abweichungen hätten viele Stücke unmöglich gemacht.
Hier kam uns das sogenannte Boygrouping-Konzept von vvvv entgegen, das es uns ermöglichte, die Zuspielrechner gemeinsam über einen Steuerrechner quasi fernzusteuern. Wir entwickelten mit vvvv also ein einfaches Programm, das sowohl fertige Flashfilme auf die Projektoren verteilen und synchron halten konnte als auch dynamische Animationen. Dem Publikum blieb die technische Komplexität verborgen, da auch das Ausblenden und die Wechsel zwischen den sehr heterogenen Stücken zentral gesteuert werden konnten.
Die Stücke und die Autoren
Kandinsky (Christine Söffing)
Axel Baune: Bassrohr; Tobias Hornberger: Klavier; Klaus Schmidtke: Chimes; Dieter Trüstedt: Chin. Konzept siehe: http://www.uni-ulm.de/einrichtungen/muz/kandinsky-projekt.html
Hommage an Rupprecht Geiger (Christine Söffing)
Spieler: Axel Baune: Laptop/orange; Tobias Hornberger: Laptop/magenta/schwarz; Roland Jetter: Rahmentrommel/dunkelrot; Klaus Schmidtke: Laptop/gelb; Christine Söffing: Ballastsaite/rosa, Bassrohr/weinrot; Gerlinde Sponholz: Bassrohr/weinrot; Dieter Trüstedt: Laptop/hellrot; Isolde Werner: Stimme/knallrot
Der Maler Rupprecht Geiger kombiniert in seinen Bildern gerne wunderbare leuchtende Rot, Rotorange und Pinktöne. Welch eine Wonne nur mit wunderbaren Farben zu arbeiten, daraus einen Film herzustellen und den synästhetisch zu vertonen – dachte ich mir und machte mich ans Werk. So entwarf ich für unsere 6 Projektionen 6 Filme mit abstrakten Formen, die uns Partitur waren. Bei den Proben spielte aber Tobias, der die Magenta-Klänge hatte, diese immer wieder schwarz, indem er die Klänge zu Flächen änderte. Also änderte ich den Film und schrieb - extra für Tobias – ein schwarzes Solo.
Rhy/Warhol (Dieter Trüstedt)
Axel Baune: Chin; Klaus Schmidtke: Chin; Christine Söffing: Chin; Dieter Trüstedt: Chin
The Sea of Oblivion (Tobias Hornberger)
Tobias Hornberger: Laptop
Laub/Algonqin (Christine Söffing)
Axel Baune: Bassrohr, Chin; Klaus Schmidtke: Chin, Laptop; Christine Söffing: Bassrohr, Chin; Gerlinde Sponholz: Ballastsaite, Bassrohr; Dieter Trüstedt: Bassrohr, Chin
Axel Baune, Klaus Schmidtke und Christine Söffing hatten im Herbst 2008 in Canada den Algonqinpark bereist und dort den Indian Summer erlebt und Klänge aufgenommen. Die Farben waren so überaus beeindruckend, dass ich (Christine) unbedingt hierzu ein Stück entwickeln musste.
Selbstverständlich sollten die Farben synästhetisch vertont werden. Die gelben Ahornblätter wären Ursula Ritters Stimme, die orangen Blätter indischer Gesang. Die zinnoberroten Blätter stellte ich mir wunderbar als Saxophonspiel vor. Die weinroten Blätter sollten mit dem Bassrohr vertont werden. Das Abendhimmelrosa mit dem Chin und der Ballastsaite. Der Film allerdings sollte abstrakt werden.
Wir probten und testeten den Klang im Zusammenspiel mit dem Film. Die vielen unterschiedlichen Klänge, die ich ausgesucht hatte, waren durchaus wunderschön, doch auch sehr bewegt und lebendig. Doch das Beeindruckende im Algonqinpark war die unergründliche Ruhe. Gerade das wunderbare Saxophonspiel erwies sich als für eine ruhige Stimmung viel zu bewegt.
So wurde um der ruhigen Stimmung willen reduziert: gelb und orange wurden gestrichen, die farbigen Flächen beruhigt und verlangsamt. Das Bassrohr-Ensemble spielte rot.
Die Projektionsflächen waren für diesen Film ein erweitertes Gesamt-Bild.
Probebohrung (Klaus Schmidtke)
Axel Baune: Laptop; Tobias Hornberger: Laptop; Roland Jetter: Schlagzeug; Andhi Pabst: Knistern; Klaus Schmidtke: Bass
Das Stück Probebohrung ist eine Hommage an die deutsche Band Bohren und der Club of Gore, deren CD Geisterfaust Christine von mir vorgespielt wurde, da die Langsamkeit dieser Musik zu einer synästhetisch klaren Wahrnehmung führen muss. BudCoG sagen selbstironisch: "Other Bands play, Bohren bore!"
Ich hatte die Idee, ein langsames, düsteres Musikstück zu entwerfen, das in Kontrast zu einer bunten hektischen Projektion stand. Da ich wusste, dass auch Tobias ein Bohren-Fan war, besprach ich mit ihm diese Idee, die ihn sofort begeisterte. Anfänglich wollte ich Schlagzeug spielen, Tobias überzeugte mich jedoch, dass elektrische Bassgitarre besser für die Interaktion mit seinem Keyboard ist. Als weitere Musiker fragte ich Axel, ob er den Hintergrund 'Drone'-Sound spielen will, und Roland, ob er Akzente mit dem Schlagzeug setzen kann. Bei unserer ersten Probe war Andhi dabei, der spontan mit einem Kassenzettel, den er vor einem verhallten Mikrofon knisterte, eine so abrundende Spannung erzeugte, dass Tobias für die Proben, bei denen Andhi nicht konnte, einen "Ersatz-Andhi" programmieren musste. Es enstand der Running-Gag "...wann ist denn die nächste Bohrprobe?", die zu dem Titel führte.
Die Projektion besteht aus einem Film mit bunten Punkten, Spiralen und abstrakten Formen, die vor einem sich hin und her bewegenden Hintergrund durch das Bild huschen, sich drehen und verformen. Dieser Film wurde in 6 Variationen verändert und in jeden Film wurde noch eine schwarze Bohrerähnliche Linie, die sich aus jeweils verschiedenen Richtungen durch den Film bohrt, eingesetzt.
Auge (Dieter Trüstedt)
Axel Baune: Bassrohr; Tobias Hornberger: Laptop; Roland Jetter: Rahmentrommel; Ursula Ritter: Stimme; Klaus Schmidtke: Chin; Christine Söffing: Ballastsaite; Dieter Trüstedt: Bassrohr; Isolde Werner: Stimme
Sinsonanten (Andhi Pabst)
Klaus Schmidtke: Schlagzeug; Isolde Werner: Stimme
Das Sinsonanten-Stück untersucht die Beziehung zwischen Bild und Musik in umgekehrter Richtung. Ausgangspunkt ist hier der Klang - der Klang der menschlichen Stimme (von Isolde Werner) und der Klang des Schlagzeugs (von Klaus Schmidtke). Der Autor (Andhi Pabst) hat Ihnen keine Partitur mitgegeben, nur sehr vage akustische Zielvorgaben für die Improvisation. Die Grafik dagegen wird generiert. Akute Einflußfaktoren sind die beiden akustischen Protagonisten. Ihre musikalischen Äußerungen führen zu direkten Reaktionen der Visualisierung. Der dritte Performance-Teilnehmer dagegen (auch Andhi Pabst) kann nur die Parameter dieser Reaktionen einstellen und so subversiv den Verlauf des Stückes dirigieren. Wer aber nun wirklich die Ausgestaltung des Stückes in der Hand hat, bleibt letzlich ungewiß. Sind es die Musiker, ist es der "Dirigent" oder ist es gar der zugrundeliegende Algorithmus des Autors?
Raps (Dieter Trüstedt)
Dieter Trüstedt: Chin, Laptop; Isolde Werner: Stimme
Teiltonfelder (Dieter Trüstedt/Andhi Pabst)
Andhi Pabst: Laptop; Dieter Trüstedt: Laptop
Konzept: Christine Söffing
Ensemble: Axel Baune, Tobias Hornberger, Roland Jetter, Andhi Pabst, Ursula Ritter, Klaus Schmidtke, Gerlinde Sponholz, Christine Söffing, Dieter Trüstedt, Isolde Werner
Filme: Tobias Hornberger, Andhi Pabst, Klaus Schmidtke, Christine Söffing, Dieter Trüstedt
Computertechnik: Andhi Pabst
Fotos: (cs) Christine Söffing, (bt) Bernhard Thurz