Das Vorurteil hört man gar nicht so selten: Studierende lernen die in der Vorlesung gezeigten und in die Lernplattform eingestellten Folien, aber nichts anderes mehr. Dabei sollen sie doch Ihr Wissen auch anwenden, einen Zustand analysieren oder einen Prozess evaluieren können. Stattdessen werden Folien auswendig gelernt und die Ursache dieser Entwicklung sei die Digitalisierung der Lehre.
Aber wenn das Auswendiglernen von Folien für eine Klausur ausreicht, sollte man den Studierenden keinen Vorwurf machen, denn effizientes und zielgerichtetes Lernen wird oft genug als Erwartungshaltung an sie herangetragen. Und wenn eine Prüfung tatsächlich nur dieses Wissen abfragt ist die rationale Handlung das Auswendiglernen der Folien. Warum mehr Zeit ins Lernen investieren, wenn andere Lernziele gar nicht gefragt sind?
Dabei müssen Folien nicht exakt alles enthalten, was Lehrende im Präsenzunterricht den Studierenden nahe bringen wollen. Abgesehen von grundsätzlichen Hinweisen für ansprechende Präsentationen (hier ein durchaus ernst gemeinter Klassiker) können Lehrende sehr wohl steuern, was, wann und wo gelernt wird. Lern-Management-Systeme wie ILIAS [und auch Moodle (Anmerkung des ZEL der UUlm)] unterstützen z.B. viele unterschiedliche und sich gegenseitig ergänzende Lehrmethoden auch für eine Vorlesung. Blogs, Wikis, Portfolios, Übungsaufgaben und gesteuerte Gruppenaktivitäten ermöglichen somit auch andere Stufen der Lernzielhierarchie. In Kombination mit anderen Materialien, kleineren Lerneinheiten, kreativen Aufgaben und Selbstevaluierungen, vielleicht auch auf Basis einer aufgezeichneten Vorlesung, steht Studierenden dann ein ganzer Lernraum zur Verfügung, der auch zu einer höheren Selbstverantwortung gegenüber dem eigenen Lernen führen kann – sofern er von den Lehrenden darin begleitet und unterstützt wird.
Andererseits: Auch aus Sicht der Studierenden mag die Folienlernerei der einfachere Weg sein, im Netz gibt es dazu Seiten voller Strategien und Optimierungsratschläge (und sehr viele Frustbeiträge). Zweifellos müssen bestimmte Begriffe, Formeln oder Namen schlichtweg eingeprägt werden. Aber wenn dies das Ziel ist – braucht man dafür eine Präsenz-Universität?
Also: Wer Powerpoint-Folien als alleinige Lernquelle ausschließen möchte, kann dies sehr wohl beeinflussen. Gerade das Einstellen zusätzlicher Materialien und die Einbeziehung ergänzender Online-Aktivitäten in den Lernprozess wird durch die Digitalisierung erheblich erleichtert. Formulierte Lernziele zeigen den Studierenden zugleich, was inhaltlich von ihnen erwarten wird, ohne den zu prüfenden Stoff exakt vor- und aufzuschreiben. Aber das ist, zugegeben, mehr Arbeit für Lehrende und Lernende.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des LLZ Halle. Wir danken den Kollegen aus Halle für die freundliche Genehmigung, die spannenden Beiträge der Vorurteile-Reihe auch bei uns veröffentlichen zu dürfen!