Die
Thrombozytentransfusion zur Behandlung thrombozytopenischer Blutungen wurde
nach Einführung der Kunststoff-Mehrfachbeutel vor knapp 30 Jahren
zur Routinetherapie. Heute sind prophylaktische und therapeutische Thrombozytentransfusionen
ein unverzichtbarer Bestandteil einer intensiven zytostatischen Behandlung
sowie der Stammzelltransplantation bei malignen und nicht-malignen Erkrankungen.
Jedoch existieren wenig kontrollierte Studien über Dosierung oder
über den Vorzug bestimmter Präparate.
Eine Thrombozytentransfusion ist immer indiziert, wenn der Patient durch die Thrombozytopenie bedingt bedrohlich blutet (therapeutische Indikation). Bei hyporegenerativen Thrombozytopenien (primäre oder sekundäre Markaplasien durch Zytostatika) oder einer Dilutionsthrombozytopenie bei Massivtransfusionen sind in bestimmten Situationen auch ohne aktuelle Blutungen prophylaktische Thrombozytengaben bei Absinken der Thrombozyten unter bestimmte Grenzwerte sinnvoll.
Hier soll eine Transfusionsstrategie zur prophylaktischen Thrombozytentransfusion vorgestellt werden, die in den letzten 25 Jahren am Universitätsklinikum Ulm unter Einbeziehung der eigenen Erfahrungen, der relevanten Literatur sowie verbesserter Thrombozytenpräparate praktiziert wird.
Präparate
Die Thrombozytenpräparate sind vom Paul-Ehrlich-Institut, Langen zugelassene Arzneimittel und unterliegen einer Herstellungsgenehmigung nach dem Arzneimittelgesetz. Thrombozytenpräparate werden entweder aus frisch abgenommenen Vollbluteinheiten oder durch maschinelle Thrombozytapherese von einem einzelnen Blutspender gewonnen. Als optimales Thrombozytenpräparat gilt heute das leukozytendepletierte Thrombozytenpräparat. Durch die Leukozytenreduktion wird ein Großteil der Nebenwirkungen, nämlich die Häufigkeit der Alloimmunisierung und der febrilen Transfusionsreaktionen, reduziert.
Thrombozytenpräparat, leukozytenarm (Standard)
Aus vier gepoolten Buffycoats (BC) von frisch abgenommenen Vollblutspenden wird innerhalb von 24 Stunden eine Thrombozytensuspension, in additiver Lösung als partieller Plasmaersatz, hergestellt. Über einen Filter werden mehr als 99% der Restleukozyten entfernt. Die Vollblutspenden stammen ausschließlich von Mehrfachspendern, die auf Infektionsmarker mehrfach untersucht sind. Der Thrombozytengehalt dieser Präparate beträgt durchschnittlich 3,5 x 10^11 und ist ausreichend für die Substitution eines normalgewichtigen Erwachsenen (siehe Tabelle 1). Die Präparate können fünf Tage gelagert werden und werden auf Vorrat hergestellt. Sie sind als Standardpräparat sofort verfügbar.
Tabelle 1 (vergrößerte
Ansicht):
Verfügbare Thrombozytenpräparate
beim DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg (Stand 1. Januar 1999) |
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Präparate
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Volumen
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Thrombozytengehalt
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Leukozytengehalt
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Erythrozytengehalt
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Spender/Präparat
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Indikationen
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Variation bedingt durch den weiten Bereich der Normwerte 150.000 bis 400.000/µl |
Thrombozytapherese-Präparat
Es wird mit Zellseparatoren von Einzelspendern gewonnen. Innerhalb von etwa 60 bis 90 Minuten wird ein Konzentrat mit ca. 4 x 10^11 Thrombozyten hergestellt. Die modernen Apheresetechniken beinhalten eine Methode zur Leukozytenreduktion, so daß auch bei diesem Präparat der Leukozytengehalt auf < 1 x 10^5 reduziert wird (siehe Tabelle 1). Die Spender stammen aus einem HLA-getesteten Mehrfachspenderstamm, der regelmäßig Blut spendet und daher häufig auf Infektionsmarker etc. untersucht wird. Da die Spender einbestellt werden müssen, ist eine Vorlaufzeit für dieses Präparat von 24 Stunden notwendig.
Der Blutspender kann HLA-kompatibel zum Empfänger ausgewählt werden. Das Thrombozytapharese-Präparat ist bei Patienten nach HLA-Immunisierung, die refraktär auf Standard-Thrombozytenpräparate sind, das Präparat der ersten Wahl.
Andere Thrombozytenpräparate
Diese beiden leukozytendepletierten Thrombozytenpräparate entsprechen dem heutigen Stand der Wissenschaft. Sie sind ausreichend für eine moderne, kosteneffiziente Transfusionsstrategie. Die bislang eingesetzten Präparate wie Einzel-Thrombozytenkonzentrat etc. sind damit nicht mehr notwendig. Es existieren keine überzeugenden Daten, die einen Unterschied in der Wirksamkeit, der Lagerungsfähigkeit etc. belegen zwischen Thrombozytenpräparaten, gewonnen aus Vollblutspenden oder mittels Thrombozytapherese. Vorteil der Thrombozytapherese gegenüber Thrombozyten aus Vollblut ist die geringere Anzahl notwendiger Spender, Nachteile sind der wesentlich höhere Preis und das höhere Spenderrisiko. Die Exposition gegenüber einer höheren Spenderzahl durch Vollblut-Thrombozytenkonzentrate im Vergleich zu Apherese-Thrombozytenkonzentraten spielt für die Alloimmunisierung keine Rolle wie klinische Studien belegen (TRAP-Studie). Das immer wieder angeführte nummerisch höhere Infektionsrisiko ist bei der Inzidenz von HIV, HCV und HBV in der baden-württembergischen Spenderpopulation bei zusätzlicher PCR-Testung unseres Erachtens unter klinischen Aspekten nicht entscheidend (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2 (vergrößerte
Ansicht):
Aktuelle Infektionsgefahr durch Blutpräparate
von Einzelblutspenden
beim DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg |
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Virus
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bei Mehrfach-Blutspendern
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Gesamte Blutspenderpopulation
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HCV
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1:300.000 | 1:270.000 |
HBV
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1:600.000 | 1:500.000 |
HIV
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1:2.500.000 | 1:2.000.000 |
rechnerische Infektionsrate nach Kleinman et al. Transfus Med Rev 11(1997)155-172 und Koerner et al. Vox Sang 74(1998)213-216 im Erhebungszeitraum 1995 bis 1998 |
Auswahl der Präparate
Die wichtigsten Antigensysteme auf den Thrombozyten sind die HLA-Antigene, die plättchenspezifischen Antigene und die auf Plättchen wenig ausgeprägten AB0-Blutgruppenantigene. Solange Patienten nicht durch vorangegangene Schwangerschaften oder Bluttransfusionen Alloantikörper gebildet haben, die zur Refraktärität gegen Thrombozytentransfusionen führen, genügt es, leukozytendepletierte Thrombozytenkonzentrate von unausgewählten Vollbutspendern zu transfundieren, die kompativel für AB0- und insbesondere für Antigen D sind. Damit können 80% aller Patienten mit einer hyporegenerativen Thrombozytopenie auch langfristig versorgt werden, ohne daß sie refraktär werden.
15 - 20% der Patienten, die durch Schwangerschaft oder Vortransfusion mit Fremdantigenen auf Leukozyten in Kontakt waren, sind immunisiert und können selbst durch leukozytendepletierte Präparate weiter immunisiert werden. Nach eingetretener Alloimmunisierung gegen HLA und/oder plättchenspezifische Antigene müssen die Patienten von den Standard-Thrombozytenpräparaten auf Thrombozytapharese-Präparate von ausgewählten Einzelspendern umgestellt werden, deren Antigenmuster kompatibel ist.
Dosierung der Präparate
Die zu transfundierende Thrombozytenzahl läßt sich unter
Berücksichtigung von gewünschtem Inkrement, Milz-Pool (30 %)
und Blutvolumen wie folgt berechnen:
Thrombozytendosis = Inkrement (x 10^9/l) x
Blutvolumen (l) x
1,5
Für eine Dosis von ca. 3 x 10^11 Thrombozyten, die zu einem Anstieg von etwa 40 x 10^9/l bei normalgewichtigen Erwachsenen führt, sind demnach ein Standard-Thrombozytenpräparaten (entsprechend vier Thrombozytenkonzentraten von Einzelspendern wie sie bis 1998 angewendet wurden) oder ein Thrombozytapharese-Präparat erforderlich.
Lagerung
Thrombozytenpräparate mit additiver Lösung (T-SOL) oder mit Plasma bis zu fünf Tagen bei 22 ± 2°C unter gleichmäßiger Agitation gelagert werden. Sie sollten nach Auslieferung sofort transfundiert werden. Eine Lagerung - auch Zwischenlagerung - bei niedrigeren Temperaturen ist strikt zu vermeiden.
Indikationen
Hauptindikation der prophylaktischen und therapeutischen Thrombozytensubstitution ist die hyporegeneratorische Thrombozytopenie. In mehreren Studien wurde dadurch die Blutungsmortalität um 40 - 50% gesenkt. Relevante Blutungen treten in der Regel erst bei Thrombozytenkonzentrationen von kleiner 10 x 10^9/l auf. Die multifaktorielle Genese von Blutungen, wie z. B. bei der akuten Leukämie, ist für die Therapieentscheidung stets zu berücksichtigen (siehe Abbildung). Neben einer Thrombozytopenie können auch Thrombozytenfunktionsstörungen zur hämorrhagischen Diathese führen.
Folglich ist eine klinisch manifeste Blutungsneigung, die durch die
"in vivo" Blutungszeit gemessen werden kann, gravierender einzustufen als
die Thrombozytenkonzentration. Da es sich jedoch häufig um neutropenische
Patienten handelt und die Messung der Blutungszeit ein zusätzliches
Infektionsrisiko darstellt, werden in der täglichen klinischen Routine
folgende Schwellenwerte für die Indikation einer Thrombozytensubstitution
vorgeschlagen:
Thrombozyten < 10 x 10^9/l
- keine Blutungszeichen
- keine zusätzlichen Blutungsrisiken (z. B. Infektion, Gerinnungsstörung)
- keine Alloimmunisierung
- engmaschige klinische Überwachung
Thrombozyten < 20 x 10^9/l
- Blutungszeichen (z. B. Petechien) ohne vitale Bedrohung
- zusätzliche Blutungsrisiken (s. o., ZNS-Befall, Antikoagulanzien)
- Alloimmunisierung (Verfügbarkeit HLA-typisierter Thrombozytenkonzentrate)
- regelmäßiges Monitoring nicht möglich
Thrombozyten < 50 x 10^9/l
- invasive Eingriffe (cave: bei Gehirn- und Augen-OP höherer Schwellenwert)
- Stammzellapherese
- Massivtransfusion (Ersatz von mehr als dem 1,5 bis 2fachen Körperblutvolumen)
Thrombozyten < 80 x 10^9/l
- invasive Eingriffe am Gehirn und Auge
Alloimmun-Thrombozytopenie bei Neugeborenen
Eine seltene Indikation zur Thrombozytensubstitution ist die Alloimmun-Thrombozytopenie des Neugeborenen. Mütterliche IgG-Antikörper überschreiten die Plazentaschranke und reagieren mit Antigenen des HPA-Systems (in der Regel HPA-Ia) auf den kindlichen Thrombozyten. Die resultierende hämorrhagische Diathese führt in einem Viertel dieser Neugeborenen zum Tod oder zu neurologischen Ausfallserscheinungen. Mangels geeigneter Vorsorge-Untersuchungen ist eine Diagnose derzeit nur bei der Manifestation möglich. Neugeborene mit neonataler Alloimmun-Neutropenie können mit Thrombozytapharese-Präparaten von Spendern, die dieses Antigen nicht tragen, oder mit Thrombozyten der Mutter substituiert werden (gerichtete Blutspende - cave: Bestrahlungsindikation!).
Autoimmun-Thrombozytopenie
Bei Autoimmun-Thrombozytopenie hingegen kann eine Thrombozytentransfusion lediglich bei schweren Blutungskomplikationen indiziert sein, da auch bei allogenen Thrombozytentransfusionen wegen der verkürzten Lebenszeit nur ein kurzfristiger Transfusionseffekt zu erwarten ist.
Angeborene Thrombozytopathien
Bei angeborenen Thrombozytopathien (z. B. Bernard-Soulier-Syndrom, "Storage-Pool-Disease" oder Gray-Platelet-Syndrom) ist gelegentlich eine Thrombozytentransfusion bei Blutungen oder vor operativen Eingriffen erforderlich.
Kontraindikationen
Eine Thrombozytentransfusion kann zu pathophysiologische Vorgängen beitragen, die zu einer thrombophilen Diathese z. B. im Rahmen der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) führen. Weitere Kontraindikationen sind thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP) und Heparin-induzierter Thrombozytopenie (HIT). Bei Verdacht auf diese Erkrankungen sollte nur bei strengster Indikationsstellung und unter entsprechenden Kontrollen Thrombozyten substituiert werden.
Nebenwirkungen
Die meisten akuten Transfusionsreaktionen werden entsprechend ihrer Pathophysiologie durch die Leukozytendepletion und Plasmareduktion verhindert.
Febrile Reaktionen
Febrile Reaktionen sind meist bedingt durch eine immunologische Reaktion von Antikörpern des Empfängers gegen Antigene auf den transfundierten Spenderleukozyten. Diese Art der Reaktion sind nur mehr selten zu erwarten und kommen in der Regel nur bei Polytransfundierten oder Schwangeren vor.
Febrile Reaktionen auf pyrogene Zytokine, die aus Leukozyten freigesetzt werden, werden durch die frühzeitige Leukozytendepletion vermieden. Thrombozyten-Präparate wie sie seit Jahren in Deutschland verwendet werden, waren auch ohne Leukozytendepletion durch Filtration weitgehend frei von Zytokinen wie Studien zur Qualitätskontrolle zeigten (Thrombozyten-Studie). Das seltene Risiko einer Posttransfusionspurpura, bedingt durch Antikörper des Empfängers gegen thrombozytenspezifische Antigene auf Spenderthrombozyten, bleibt bestehen.
Bakterielle Kontamination
Die bakterielle Kontamination wird durch die für Thrombozyten notwendige Lagerungstemperatur (von 22 ± 2°C) begünstigt. Das Kontaminationsrisiko liegt bei 0,04% - 0,1% aller Präparate. Bei Auftreten von septischen Temperaturen nach einer Transfusion sollten sowohl aus dem Empfänger als auch aus dem transfundierten Präparat Proben für bakterielle Kulturen entnommen werden.
Virale Kontamination
Die virale Kontamination von Blutprodukten ist durch eine konsequente Spenderauswahl und Spenderuntersuchung unter den Blutspendern in Baden-Württemberg sehr gering (siehe Tabelle 2). Zusätzlich wird durch eine Untersuchung jeder Blutspende mittels der PCR-Technik das Risiko für die in der Tabelle 2 aufgeführten Infektionen weiter vermindert.
Das Risiko einer CMV-Infektion wird durch die Leukozytendepletion fast
vollständig eliminiert wie klinische Studien zeigten (CMV-Studie).
Nur für besondere Risikopatienten, wie z. B. nach einer allogenen
Stammzelltransplantation oder bei Kleinkindern mit einem schweren kombinierten
Immundefekt (SCID-Syndrom), empfehlen wir nur Präparate anzuwenden,
die von anti-CMV-Antikörper-negativen Blutspendern stammen.
DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg
Stand Februar 1999