Doppelspaltversuch


Bei der Deutung der Beugungsbilder als Interferenzfigur gingen wir davon aus, dass die Elektronenquelle hinreichend viele Elektronen emittiert. Wir können untersuchen, welches Muster entsteht, wenn wenig Elektronen auf dem Detektorschirm ankommen. Dafür betrachten wir zunächst die Beugung an einem Einzelspalt. Wir variieren die Leistung der Elektronenquelle so, dass die Anzahl der Elektronen, die am Leuchtschirm ankommen, von ca. 50 bis zu einigen Millionen steigt. Dieses Experiment können wir sowohl mit Elektronen als auch mit Photonen durchführen. Die Ergebnisse sind jeweils äquivalent.

Beugung von unterschiedlich vielen Elektronen/Photonen am Spalt:



Was zeigt uns dieses Experiment?

Bei kleiner Leistung der Elektronen- oder Lichtquelle kommen wenig Elektronen bzw. Photonen pro Sekunde auf dem Schirm an. Wir sehen eine zufällige Verteilung der einzelnen Teilchen und können sogar die Stellen ihres Auftreffens als helle Punkte erkennen. Die Punkte verschwimmen mit steigender Anzahl zu Interferenzstreifen und lassen sich dann durch eine Verteilungsfunktion V(x) beschreiben. Ein erstaunliches Bild bietet sich uns mit ca. 500 hellen Punkten, dass sowohl eine Teilchenverteilung als auch ein Interferenzmuster zeigt. Zwar treffen die einzelnen Teilchen bei Wiederholung des Experimentes z. T. an anderen Stellen auf, ihre Verteilung bleibt bei großer Anzahl immer die gleiche. Die Eintreffstelle eines einzelnen Teilchens lässt sich nicht voraussagen. Bestimmte Bereiche werden jedoch bevorzugt, andere vernachlässigt. Bei Photonen entspricht die Verteilungsfunktion V(x) der Intensitätsverteilung I(x) von Licht als elektromagnetischen Wellen.

Nur eine große Menge von Mikroobjekten kann Beugungs- und Interferenzbilder erzeugen. Diese Bilder bauen sich aber immer stochastisch auf.

1926 hat Erwin Schrödinger eine mathematische Theorie aufgestellt, in der das Verhalten eines Mikroobjekts durch eine Wellenfunktion beschrieben wird. Für Photonen stellt die elektrische Feldstärke E (oder die magnetische Feldstärke B) eine solche Funktion dar. Bei massenbehafteten Teilchen wie Elektronen hat noch keine physikalische Bedeutung.

Nach der klassischen Wellenmechanik ist die Intensität einer Welle proportional zum Quadrat der Wellenfunktion. Für das Licht gilt also:

(8.1)

Nach der Teilchentheorie sind die Stellen maximaler Lichtintensitäten im Interferenzbild die Stellen, wo die meisten Teilchen ankamen. Die einzelnen "Treffer" werden so zum Maß für die Auftreff- oder Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Wir definieren den Quotienten aus der Wahrscheinlichkeit P, ein Objekt in einem bestimmten Bereich um den Punkt x anzutreffen, und der Ausdehnung dieses Bereiches x als Wahrscheinlichkeitsdichte P(x):

(8.2)

Die Intensitätsverteilung I(x) gibt die Wahrscheinlichkeitsdichte für das Auftreffen von Photonen auf dem Schirm an:

(8.3)

Aus (8.3) und (8.3) folgt für Photonen:

Die Dichte der Photonen ist proportional zum Quadrat der Wellenfunktion E :

(8.4)

Solche Überlegungen führten Max Born im Jahre 1927 zur Wahrscheinlichkeitsdeutung des Zusammenhangs zwischen Wellen- und Teilchentheorie. Sie wurde Welle-Teilchen-Dualismus genannt. Analog zu Lichtwellen hat Max Born auch für "Materiewellen" angenommen:

Die Wahrscheinlichkeit, Elektronen in einem bestimmten Raumbereich anzutreffen, ist proportional zum Quadrat der Wellenfunktion, die den Elektronen zugeordnet wird.

Sodann definieren wir für alle Mikroobjekte:

Die Wahrscheinlichkeit, ein Mikroobjekt in einem bestimmten Raumbereich um den Punkt x herum zu finden, ist proportional zum Betragsquadrat seiner Wellenfunktion an diesem Ort:

(8.5)

Die Wellenfunktion wird in der Quantenmechanik nicht immer reell sein, sondern kann auch komplexe Werte annehmen. Die Wahrscheinlichkeit kann aber nur reell, und zwar positiv oder gleich Null sein. Deshalb sollen wir im Falle einer komplexwertigen Funktion nicht die Funktion selbst, sondern deren Betrag quadrieren. Denn der Betrag jeder beliebigen Zahl ist immer reell und größer oder gleich Null.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, ein Teilchen in seinem gesamten Aufenthaltsbereich anzutreffen, ist gleich eins. Darum muss das Integral der Wahrscheinlichkeitsdichte über den gesamten Bereich ( = Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Teilbereiche) den Wert eins ergeben. Damit die Wellenfunktion diese Bedingung erfüllt, wird sie mit einem reellen Faktor N multipliziert:

(8.6)

Die Normierungsbedingung lautet dann:

(8.7)

Der Normierungsfaktor N hängt also nur von der Wellenfunktion ab:

(8.8)

Wir erhalten den folgenden Satz:

Die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte eines Teilchens ist gleich dem Betragsquadrat seiner normierten Wellenfunktion:

(8.9)

Andere Funktionen, wie z. B. Intensität, müssen erst normiert werden, wenn sie eine Wahrscheinlichkeitsdichte darstellen sollen.


Im Versuch oben haben wir aus bekannten Gründen die Öffnungsbreite des Spaltes in der Größenordnung der Wellenlänge gewählt.

Wie verhält sich das Interferenzbild, wenn wir die Spaltbreite verkleinern?

Beugung von Elektronen/Photonen am engen Spalt:



Stellen wir den Spalt immer enger, so wird der mittlere helle Streifen bei abnehmender Intensität breiter. Die anschließenden Minima und Maxima wandern nach außen, bis schließlich der ganze Schirm beinahe gleichmäßig, aber sehr schwach erhellt ist. Wie beim Wasser wirkt also auch bei Licht und Elektronen ein sehr enger Spalt wie das Zentrum einer Elementarwelle. Das Interferenzmuster verschwindet, wir erhalten ein reines Beugungsbild.

Nun wollen wir mit zwei solchen engen Spalten experimentieren, in dem wir sie an die Stelle von einem setzen. Bevor wir diesen Versuch mit Elektronen und Photonen machen, führen wir ihn zum Vergleich mit makroskopischen Teilchen und klassischen Wellen, wie z. B. mit Kugeln und Wasserwellen durch:

Einzel- und Doppelspaltexperimente mit Kugeln/Wasserwellen/Elektronen/Photonen:



Wie lassen sich diese Experimente interpretieren?

In Experimenten mit Kugeln kommt nur eine Kugel zu einem Zeitpunkt durch die Spalte. Die Kugeln fliegen entweder geradewegs durch die Spalte oder sie prallen an den Spaltkanten ab. Im Einzelspaltversuch treffen die meisten Kugeln in den Sandbüchsen ein, die auf der geraden Flugbahn liegen, nach den Seiten immer weniger. P1(x) und P2(x) sind die Verteilungsfunktionen (Wahrscheinlichkeitsdichten) der Kugeln nach ihrem Durchgang durch den jeweils offenen Spalt 1 oder Spalt 2.
Im Doppelspaltversuch haben die Kugeln die Wahl, durch einen der beiden Spalte zu fliegen. Jede Büchse erhält die Summe der Kugeln dieser Büchse aus den beiden Einzelspaltversuchen. Die neue Verteilung P12(x) setzt sich aus den Verteilungen P1(x) und P2(x) zusammen :

Doppelspaltversuch mit Kugeln P12(x) = P1(x) + P2(x) (8.10)

Bei Wasserwellen am Einzelspalt sehen die Intensitätsverteilungen I1(x) und I2(x) ähnlich den Verteilungen P1(x) und P2(x) der Kugeln aus. Nach dem Durchgang durch beide Spalte überlagern sich die Wellen zu einem Interferenzbild. An der Reihe von Bojen können wir Verstärkung, Schwächung und Auslöschung der Wellen beobachten. Der Intensitätsverlauf im Doppelspaltversuch ergibt sich also nicht wie bei den Kugeln durch einfache Addition der beiden Kurven der Einzelspaltversuche:

Doppelspaltversuch mit Wasserwellen I12(x) I1(x) + I2(x) (8.11)

Sowohl mit Elektronen als auch mit Photonen bekommen wir nach einem engen Einzelspalt dieselbe Verteilung wie bei Kugeln oder Wasserwellen. Wir können also diesen Einzelspaltversuch von Elektronen bzw. Photonen auch mit Teilchentheorie erklären.
Öffnen wir nun beide Spalte. Nach der Teilchentheorie kann ein Elektron oder ein Photon nur durch einen Spalt hindurchtreten. Deswegen sollte die Verteilung der Teilchen der Summe der beiden Verteilungen aus den Einzelspaltversuchen entsprechen. Dies stimmt nicht mit der Realität überein. Stattdessen sehen wir eine Abfolge dunkler und heller Interferenzstreifen auf dem Leuchtschirm. Ihre Lage lässt sich mit der Optik berechnen.

Doppelspaltversuch mit Elektronen/Photonen P12(x) P1(x) + P2(x) (8.12)

Analog zu Interferenzen von Wellen addieren sich hier nicht die Wahrscheinlichkeitsdichten P1(x) und P2(x), sondern die Wellenfunktionen 1(x) und 2(x) der Einzelspaltversuche:

  12(x) = 1(x) + 2(x)  

Wir gehen jeweils von einer normierten Wellenfunktion aus und erhalten mit der Formel (8.9) folgende Beziehung:

  (8.14)

Würden wir wenige Elektronen oder Photonen durch den Doppelspalt schicken, dann können wir sie als einzelne Punkte am Schirm erkennen. Offensichtlich ist die Widersprüchlichkeit ihres Verhaltens: Einerseits können Elektronen und Photonen wie Kanonenkugeln einzeln im Detektor registriert werden, andererseits interferieren sie wie Wasserwellen miteinander.

Höchst paradox ist auch die Tatsache, dass die Interferenzstreifen auch dann entstehen, wenn zu jedem Zeitpunkt nur ein einziges Teilchen durch die Anordnung fliegt. Interferiert es dann mit sich selbst? Könnte ein Teilchen gleichzeitig durch beide Spalte laufen? Wäre so ein Mikroobjekt vor seiner Registrierung am Detektor ein klassisches Teilchen, dann müsste es sich für Spalt 1 oder Spalt 2 entscheiden.

Wir stellen fest: In Spaltexperimenten mit Elektronen bzw. Photonen geht bei der Messung etwas vor sich, was die klassische Anschauung nicht erklären kann. Je nach Versuchsbedingungen: enger Spalt oder breiter Spalt, Einzelspalt oder Doppelspalt, müssen wir entweder vom Wellen- oder Teilchencharakter sprechen. Daher müssen wir sowohl den klassischen Wellen- als auch den klassischen Teilchenbegriff aufgeben und die Dualismusfragen auf die Analyse des quantenmechanischen Messprozesses begrenzen.

Entsprechendes Verhalten am Doppelspalt zeigen auch Protonen, Neutronen und andere Mikroobjekte.

Mikroobjekte, die sich weder als klassische Wellen noch als klassische Teilchen beschreiben lassen, werden Quantenobjekte genannt. Das Verhalten der Quantenobjekte wird durch eine ortsabhängige Wellenfunktion beschrieben. Das Betragsquadrat der Wellenfunktion gibt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Quantenobjektes an.